Grenzwerte wie die MAK sind kein Dosismaß. Konzentrationen sind für sich noch keine Dosis. Immer wird eine bestimmte Zeitkonstante unterstellt, die außerdem mit einer Statistik verknüpft ist. Bei der HöchstmengenVO etwa ist es der Warenkorb und der durchschnittlicher Verzehr.
Bis heute wird in gutachterlichen Auseinandersetzungen die Zeitkomponente vernachlässigt. Die Haber‘ sche Regel lautet:
Dosis ist Konzentration mal Zeit.
Fehlt die Zeitkomponente, ist die gemessene Konzentration keine Dosisangabe und es kann toxikologisch daraus nichts abgeleitet werden. Gern wird der Eindruck erweckt, Konzentrationsbegrenzungen wie etwa der MAK seien eine Dosisbegrenzung. Das ist nicht der Fall.
Der MAK ist ohne jeden wissenschaftlichen Wert, solange die Expositionszeit variiert. Der MAK stammt aus der Arbeitsmedizin. Sie ist Akutmedizin und damit auch eine Akuttoxikologie. Wenn während der 8 Stunden der MAK knapp eingehalten wird, geht der Exponierte wahrscheinlich ohne größere Beschwerden nach Hause. Die MAK schützen – vielleicht – vor Akutreaktionen wie Kopfweh nach einem 8-h-Tag. Auf die Dauer aber nimmt sein Hirn Schaden. Das ist epidemiologisch bewiesen. Wie die Chronifizierung zu verstehen ist, ist in Sachen Energieversorgung wissenschaftlich geklärt. Andere Mechanismen sind Forschungsgegenstand. Man kann sich das vereinfacht so vorstellen, dass die Schäden akkumulieren, bis sie klinisch auffällig werden.
Chronische Wirkschwelle der VOC (BK 1317)
Auf längere Sicht macht eine Belastung sicher krank, jedenfalls für eine bestimmte Anzahl aller Betroffenen. Dies beweist die Epidemiologie in Sachen Hirnschaden durch beruflichen Umgang mit Lösemitteln – BK 1317 (BMA 1996). „Der regelmäßige berufliche Umgang mit Lösemitteln“ ist – epidemiologisch gesehen – eine recht genaue Dosisangabe. Die tatsächliche Exposition schwankt im beruflichen Alltag, die Lösemittelgemische verändern sich im Laufe der Jahre – diese Dynamik ist unbekannt. Die Verhältnisse sind bei Malern anders als bei Tankreinigern. Fest steht nur, dass sie à la long zu einem erhöhten TE-Risiko führen. Zahlenwerte liefert die Epidemiologie nicht.
Eine kritische Schwelle für die Dauerbelastung, die sich in Zahlen ausdrückt, wurde von Mølhave durch Probandenversuche 1985 eruiert.
Dosismaß war der TVOC (Total Volatile Organic Compound = Summe aller Stoffe eines Standard-VOC-Gemischs, welches etwa die Situation in Gebäuden Mitte der 80er Jahre simuliert). Eine Einzelstoffbewertung wird nicht vorgenommen, weil sie wegen der Synergieeffekte wissenschaftlich nicht fassbar ist. Wer nach 1985 noch mit Einzelstoffwerten – Schwell- oder Richtwerte – argumentiert stellt sich außerhalb der Wissenschaft. Solche Gutachten sind nicht arte legis.
Quantitativ hat bereits 5 mg TVOC/m³ bei allen Probanden – doppelblind kontrolliert – Reaktionen hervorgerufen. Die MAK, angeblich unbedenklich, liegen bei x00 mg VOC/m³ (x = 1,2 oder 3 in der Mehrzahl der Stoffe). Schon bei nur einer Komponente ist der MAK – rein rechnerisch – um mehr als den Faktor 20, 100 oder 150 zu hoch – er ist eben ein Akut-Richtwert und schützt nur bei hohen kurzzeitigen Dosen. Bei drei Komponenten nach der MAK etwa verdreifacht sich die Fehlbewertung.
Auch dies ist noch nicht die ganze Wahrheit. Die 5 mg TVOC/m³ liegen ja über der Wirkschwelle. In der Toxikologie nennt man das einen LOAEL (Lowest Observed Adverse Level), das niedrigste bisher beobachtet Level adverser Reaktionen.
Der Versuch ersteckte sich über 4 Wochen mit 2,75 h Exposition pro Wochentag. Dies nennt sich eine subchronische Belastung.
Exposition wurde mit 25 mg, 5 mg oder 0 mg TVOC/m³ getestet. Alle Probanden reagierten auf 5 mg TVOC/m³. Die subchronische Wirkschwelle muss demnach noch erheblich tiefer als 5 mg TVOC/m³ liegen. Die chronische Wirkschwelle muss nochmals tiefer liegen (vertiefende Berechnungen dazu: Merz et al 2004). Mølhave hat eine Schwelle von 200 µg TVOC/m³ vorgeschlagen. Das UBA hat später eine Schwelle von 200 – 300 µg TVOC/m³ festgelegt. Die chronische Wirkschwelle liegt demnach einen Faktor 1 000 tiefer als die akute (MAK)). Dabei sind besonders empfindliche Individuen noch nicht berücksichtigt.
Nun muss noch erläutert werden, was „advers“ ist. Advers (widrig) ist zum Einen adaptiv (angepasst) entgegengesetzt. Alle chronischen Effekte sind advers. Meist wird auch verlangt, dass die Effekte klinisch sein müssen, d. h. Symptome – auffällige Laborparameter genügen i. d. Regel nicht. Adaptiv etwa ist die narkotisierende Wirkung der VOC, advers die Diagnosekriterien von SBS oder TE. Testkriterium für den Mølhave-Test war die SBS-Definition (SBS = Sick-Building-Syndrom), die Diagnosekriterien des SBS, der WHO aus dem Jahr 1982. Getestet wurde demnach mit der historisch ersten Definition einer Umwelterkrankung.
Das ist der Stand der Wissenschaft. Dieser wird seit seiner Existenz aus der Mitte der 80er Jahre erfolgreich demontiert. Keiner hat den Mut dies zu erkennen oder gar noch auszusprechen und für die Gerichte ist mittlerweile eine Unterschreitung der MAK ein Ausschlusskriterium für die Kausalität. So können die Gutachter alle toxischen Invaliden den Versicherungsschutz verweigern, denn die MAK sind immer unterschritten. Diese Situation wurde erreicht, weil sich keiner traut, laut auszusprechen, dass dies mit Absicht und wider besseren Wissen auf diese Weise durchgesetzt wurde. Der Mediziner will dem Kollegen nichts unterstellen und der Anwalt will sich weder mit Fragen der Befangenheit oder gar des fortgesetzten Prozessbetrugs befassen.
Aufklärung nach Kant ist Mut, sich seines Verstandes zu bedienen. Heute scheint es, als hätten die Götter beschlossen, einer Menschheit, die den Verstand nicht gebraucht, ihn auch wieder zunehmen.