Bewertung und Dosis

Im Sozialrecht wird für die Exposition ein „Vollbeweis“ verlangt. Dieser orientiert sich an „Grenzwerten“ und diese wiederum begrenzen nur Konzentrationen – das aber ist keine Dosis, d. h. dieses Grenzwertkonzept ist nicht toxikologisch begründet.

Damit unterlaufen gutachterliche Bewertungen in den Verfahren zur chronischen Intoxikation den toxikologischen Dosis-Begriff. Denn

Dosis ist Konzentration mal Zeit.

Erst der Zeitfaktor macht die Dosis. Bei chronischen Intoxikationen ist er alles entscheidend. Denn in dieser Gleichung ist die Konzentration klein und die Zeit groß. Die Konzentrationen in Nahrung, Luft und Wasser sind sehr niedrig, die Belastungszeiträume ein Leben lang oder ein Arbeitsleben lang. Der große Faktor wird in den Bewertungen stets unterschlagen.

So kann keiner eine chronische Intoxikation verstehen. Das ist der Sinn der Übung. Der toxikologische Dosisbegriff wird zu einem sinnlosen Torso verschnitten. Auf dieser Basis erreicht man immer Unbedenklichkeit; denn der Dosisbegriff hat jeden Sinn verloren.

Diese Pseudodosis hat nur akuttoxikologisch Sinn: wenn die Wirkung sofort auf ein Ereignis stattfindet. Dann muss die Konzentration sehr hoch sein. Das sind die MAK-Werte. Sie kommen aus der Arbeitsmedizin: Erkrankung noch während der Arbeit. Sie schützen nur im Rahmen von max. 8 h – als Dauerbelastung sind sie krankmachend.

Bei den VOC ist der Bewertungsfehler ein Faktor 1 000, d.h. auf die Dauer macht ein Tausendstel bereits krank (Merz et al 2004). Für Arsen findet sich im Lehrbuch: Akutschwelle: 1 mg As/kg/d und chronische Schwelle: 1 µg As/kg/d (Marquart 1994, S. 511). 1 Mykrogramm ist ein Tausendstel Milligramm. Für die inhalative Belastung von Permethrin ergab sich nach Urin-Kontrolle ebenfalls ein Faktor 1000. Das liegt daran, dass die inhalative Dosis direkt ins Hirn transportiert wird und dort gibt es keine Entgiftung.

Das gilt auch für Ozon im Freien verglichen mit Ozon im Büro. Warnung an die Bevölkerung erfolgt bei der Erwartung von 180 µg O3/m³ (0,09 ppm) für den Zeitraum einer Stunde. Für diese Stunde sind wir schon im Risikobereich. 0,09 ppm sind kein Schwellwert. Dieser liegt derzeit bei 0,05 ppm. Gerichtsgutachter verwenden diesen Wert oft doppeltfalsch: zum einen als Schwellwert und dann auch noch für die Dauerbelastung (etwa in einem Copyshop). Schon bei einem Arbeitstag beträgt der Bewertungsfehler einen Faktor 8 in Bezug auf den Zeitfaktor und insgesamt einen Faktor 14, für eine Woche eine Fehlbewertung von einem Faktor 70.

Wie auch immer man die Erholung am WE bewertet, nach einem Jahr ist der Bewertungsfehler über den Faktor 1000 weg. Für die Erholung am Wochenende muss man schon eine Halbierung der Belastung ansetzen. Dann ergäbe sich ein Bewertungsfehler von einem Faktor 1600.

In einem Fall einer Angestellten in einem Copy-Shop stellte sich im Laufe von 4 Jahren ein Asthma bronchiale ein, bis zum Schweregrad einer vollständigen Erwerbsunfähigkeit. Der Gerichtsgutachter hat nun alle Expositionen, nämlich Papierstaub, Ozon, VOC, so behandelt, dass er den Zeitfaktor unterschlagen hat. Damit hat er schon zwei wichtige Komponenten, nämlich die organischen Schadstoffe und Ozon, dramatisch unterbewertet. Auf diese Art und Weise wird seit 20 Jahren über die Frage diskutiert, ob Toner und Tonerstäube, Laserdrucker und dergl. gesundheitlich bedenklich sind. Seit 20 Jahren sagen die Studien immer wieder, dass Entzündungen nachgewiesen wurden und dann wird es immer wieder abgestritten. Das ist deshalb so einfach, weil man ja nur den Zeitfaktor weglassen muss.

Niemand hat bisher behauptet, dass diese Geräte akut-toxisch sind. Aber so werden sie bewertet.

 

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