Seit Montagmorgen gibt es wieder „Normalität“. Alle jubeln. Die Infektionsrate steigt bereits wieder mit erstaunlicher Promptheit. Willkommen in der Normalität. Normal ist auch, dass prompt eine „geglättete“ Infektionsrate eingeführt wurde, eben jene statistische Verdünnung, wenn die Realität sich nicht dem allgemeinen Bauchgefühl anpassen will. Vielleicht stimmt es ja, dass sich ein „Plateau“ einstellt – möglich, bestimmt nicht, wenn mit Normalität, die vor Corona gemeint ist. Denn die Wissenschaft zeigt, dass es ohne Impfstoff lange dauern wird.
Wenn sich eine Katastrophe anbahnt, wollen alle wissen, was die Wissenschaft sagt. Aber wenn die nach vier Wochen keine Entwarnung gibt, wird sie beschimpft. Dann heißt es dann „Zahlenjongliererei“. Die Kurven der Simulationsrechnungen besagen (DGepi), dass es rasch mehr wird (aufsteigende Exponentialkurve) und dann sich verlangsamend weniger (absteigende Exponentialkurve). Das Maximum dazwischen hängt von uns ab. Wenn wir das klein machen, dauert es aber umso länger, bis wir über diesen Berg sind.
Ersteres haben wir geschafft. Orientierung war „Bergamo“ – Lehre aus einem Hotspot. Deshalb ist es auch der richtige Weg, die Landkreise einzeln zu monitoren und versuchen möglichst die richtigen Lehren zu ziehen. Da kann die Wissenschaft helfen, aber nicht mehr. Falsch ist es, von der Wissenschaft eine Art Hellseherei zu verlangen und sie dann zu verdammen.
„Rechenfehler“ heißt es zur Heinsbergstudie – schaut man in den Text, ist da kein Rechenfehler zu entdecken – den gibt es nur in der Headline. Es wird reklamiert, es gäbe um die 1,8 Mio Infizierte (hochgerechnet) ein Konfidenzinterval von 1 bis 5 Millionen. Also ist mit 1,8 Mio die Dunkelziffer korrekt abgeschätzt. Mangelnde Genauigkeit ist kein Fehler sondern Datenlage. Solche Kritik, die aus Aussageunsicherheit „Fehler“ macht wischt damit gerade die positive Aussage der Studie beiseite: die Sterberate ist klein und die Rate der Gesundung ist hoch. Die hohe Rate des asymptotischen Verlaufs – die hohe Dunkelziffer – ist tröstlich und kann auch die Maßnahmen moderieren. Mit „Rechenfehler“ kommt das Positive auf den Müll. Das bleibt kleben. Das ist wie Dreck am Schuh. Dann wir in der Folge gleich abgewunken, nur weil eine Journalist Mathematik mit einfachem Rechnen verwechselt. Solche Zerstörung mit blind und diese Dunkelheit ist nicht positiv.
Die exponentiell absteigende, langsame Kurve greift erst, wenn die Herdenimmunität groß genug ist – d. h. wenn der Virus bei Übertragung auf Immunität trifft (~70%) – tritt erst bei 57 Mio Infizierten auf – der Preis lautet: 2,12 Mio Tote (bei 3,7 ‰). Betrachten wir nun die Hotspots, findet sich vielleicht noch eine weitere Möglichkeit. Der Lockdown macht nur die Kurve flach. Es hat sich seit dem Lock-Down nichts geändert. Erstes Ziel war, die Klinikkapazitäten nicht zu überfordern. Der Erfolg wird jetzt zum Argument für jeglichen Unfug und auch gegen vernünftigen Umgang mit Wissenschaft – diese Dunkelziffer ist zu fürchten und darf nicht auch noch Verständnis stoßen.
Die Menschheit hat die Wissenschaft erfunden, wenn die Vorstellungen nicht ausreichten zu verstehen oder Ereignisse falsch vorhersagten. Ungeduld hat da nie weiter geführt. Die Exponentialkurven sind mathematische Tatsachen. Wir können danach nicht beides haben: wenig Tode und schnelle Gefahrenbeseitigung. Aber wir können lernen effektive von ineffektiven Maßnahmen zu unterscheiden. Sicher ist, dass kleines R0 nur die Kurve flach macht und den Schneeballeffekt klein hält. Bleibt es beim heutigen niedrigen Niveau, ist die Normalität eine ferne Illusion. Gibt es eine „zweite Welle“, dann geht alles von vorne los. Jedenfalls ist das die Alternative und der Rest ist … nennen wir es Unfug, Bullshit mit all‘ seinen Blüten, auf jeden Fall Rückschritt.
Die erste Welle hat gezeigt, dass der Zeitpunkt großen Einfluss hat: Italien traf es unvorbereitet – da schaute alles noch auf China – Österreich hat prompt reagiert. Es schneidet mit 78 Toten pro Million Einwohner gut ab (D: 98). Das erklärt die aufsteigende Exponentialkurve: wer schnell reagiert (solange der Schneeball noch klein ist) kommt gut weg. Wir können aus Vergleichen etwas ablesen. Spitzenreiter ist Belgien mit 785 Toten pro Million. Bemerkenswert ist UK mit 649 Toten/Mio. Bemerkenswert auch deshalb, weil UK in den letzten beiden Wochen so rasant aufgeholt hat. Es ist jetzt zweiter hinter Belgien. Also ist es nützlicher über die Reaktionen anderer – und zwar höchst sachlich – zu berichten. Es hilft nix, wir müssen alle dazulernen und uns auf längere Dauer einstellen. Die ersten Maßnahmen waren auch deshalb grob, weil man außer Quarantäne nichts wusste.