Nach der wissenschaftlichen Definition der toxischen Enzephalopathie (TE, toxischer Hirnschaden) durch den Kopenhagener Kongress 1985 hat die deutsche Medizin diese Krankheit nicht zur Kenntnis genommen. Sie lassen die Patienten unversorgt bis sie dement sind, was leicht zu verhindern wäre. D. h. sie nehmen die Beschwerden des Patienten solange nicht ernst, bis er hilflos ist. Die WHO hat aber wissenschaftlich viel präziser definiert und erkannt, dass es medizinisch inakzeptabel ist, solange zu warten, dafür wurden die Schweregrade TE1 und TE2 – differenziert in A und B.
Gutachter auf diesem Gebiet orientieren sich stets an falschen Krankheitsbildern oder am falschen Schweregrad. Dazu eine Zitat (sinngemäß aus dem Gedächtnis): “Die Gedächtnistests waren schlechter als bei Alzheimerpatienten, sodass dies nur mit Simulation erklärbar ist”. Alzheimer ist aber eine ganz andere Krankheit und die Gedächnisdefizite haben eine andere Struktur.
Die TE1 kann jeder Arzt per Anamnese diagnostizieren. Sollte er nicht sicher sein, so hilft die Fremdanamnese. Freunde und Verwandte bemerken die Veränderungen früher und genauer (Beispiel Persönlichkeitsveränderungen: “Ich habe einen ganz anderen Mann geheiratet”). Dann kann der Arzt auch das “V. a.” (Verdacht auf) weglassen. Er darf sich auch trauen, denn die WHO hat es so definiert. In Kopenhagen waren 1985 alle versammelt, die genau wussten, was ein toxischer Hirnschaden ist, wie er beginnt und wie er sich fortentwickelt. Entscheidend für die Diagnose ist das Muster der Symptome.
Dass die TE1 meist übersehen wird, ist eine medizinische und humane Katastrophe.
Erst beim nächsten Schweregrad – TE2A – sind signifikante testpsychometrische Ergebnisse zu erwarten bzw., sofern sie eintreten, ist es dann definitionsgemäß eine TE2A. Es ist nicht die Aufgabe der Gutachter, diese dann jeweils zu bewerten, etwa mit “zu gering” die Qualität TE zu verneinen. Das ist dann schlicht nicht arte legis und demontiert die Definition der WHO. Die Gutachter kennen die TE nicht und meinen, das Rad neu erfinden zu müssen. Die Krankheitsqualität liegt in der umfassenden Behinderung sehr vieler emotionaler und mentaler Funktionen sowie in der chronischen Erschöpfung.
Schweregrad I (TE-1):
Erschöpfung, Ermüdbarkeit, Konzentrations- und Merkschwäche, Antriebsminderung;
Schweregrad II a (TE-2A):
Persönlichkeitsveränderungen, signifikante Leistungsminderung und sensorische Störungen, Affektlabilität mit depressivem Einschlag, Nachweis: Testpsychometrisch;
Schweregrad II b (TE-2B): wie II a, zusätzlich Ataxie, Tremor, Koordinationsstörungen und Polyneuropathie nachweisbar;
Schweregrad III (TE-3):
schwere globale Einschränkungen der Gehirnleistung, ähnlich Demenz und Psychosyndromen. Nachweis hirnatrophischer Veränderungen mit CT und MRT.
Man stelle sich eine Klasse in einer lösemittelbelasteten Schule vor: Lehrer wie Schüler haben die Symptome der TE1 – man kann sich gut vorstellen, dass der Unterricht wenig ergiebig ist. Das gilt auch für jedes beliebige Büro. Findet sich einer, der ständig AU (arbeitsunfähig) ist, so werden die anderen weniger effektiv sein. Statt dies zu ändern, werden aber die gemobbt, deren Zustand anzeigt, dass die Räume toxisch sind.
Für viele ist krank ist erst ab “dement” – so steht es jedenfalls in dem BK-Report 2/2007 zur BK 1317 der HVBG (BK = Berufskrankheit, 1317 = TE und tox. Polyneuropathie durch Lösemittel, HVBG = Hauptverwaltung der Berufsgenossenschaften). Dort wird TE als Synonym für Demenz bezeichnet und unter den Diagnosekriterien “braucht Hilfe im Alltag” gelistet. Die BG’n anerkennen also nur die TE 3. Damit sind die einzelnen BG’n fein raus. Die Leute werden meist vorher dauerhaft erwerbsunfähig.
Die Experten der WHO haben sehr genau gewusst, dass sich die TE langsam entwickelt und Behinderung schon bei der TE1 einsetzt. Es ist die schlichte Ignoranz – wie in über 90% der Gutachten – Simulation oder Aggravation in den Raum zu stellen. Wer sich wirklich Rente erschwindeln will, wird andere Krankheitsbilder wählen. Gutachten, die sich absichern, indem sie die obigen Diagnosekriterien auflisten, gehen anschließend die Demontage so an: diese Beschwerden seien bloß subjektiv und seien nicht objektiviert – eine Forderung, die gar nicht einlösbar und auch nicht notwendig ist, denn das Muster ist die Objektivierung. Das ist reinste Wissenschaft auf der Basis gründlichster Epidemiologie.