Denen fällt keiner in den Arm …

Bei den Gutachtern nehmen die Hemmungen ab, weil denen in zwanzig Jahren Diskussion keiner in den Arm gefallen ist. Dazu zunächst drei Beispiele:

  1. Der Patient findet regelmäßig nicht mehr nach Hause (Demenz) und der Gutachter kann nur eine frühkindliche Rechenschwäche entdecken.
  2. Der einzig nachgewiesene Stoff im Innenraum (Formaldehyd) zeige eine völlig andere Wirkcharakteristik als die Beschwerden des Geschädigten – jedes Toxikologiebuch sagt das Gegenteil.
  3. Die Hausärztin erklärt den Patienten für nicht transportfähig – starker körperlicher Verfall mit Gewichtsabnahme – und der Gutachter entscheidet nach Aktenlage (teilweise stark veraltet), dass er mehr als sechs Stunden pro Tag zu arbeiten in der Lage sei.

In fast jeder Akte finden sich solche Aussagen, die (fast) jeder Laie als fragwürdig erkennen kann und die aus fachlicher Sicht kaum noch kommentierbar sind. Historisch gab es gewisse Schübe zum Schlechteren. Einmal nach 2000, als die Seite der Umweltschützer auf Kooperation umgestellt hat. Aber entscheidend war nach 2005, als die Berufsgenossenschaften (BG) und andere Versicherungen feststellen durften, dass Korrektur in Sachen BK 1317 bei den Umwelt- und Patientenorganisationen nicht verstanden worden sind: Die korrekte Auflistung der Diagnose-Kriterien gemäß WHO 1985. Die BG musste den BK-Reports 3/99 zurückziehen, der Sachverständigenbeirat neu beraten und er hat ein neues Merkblatt publiziert. Nun war die Progredienz nach Expositionsende anerkannt und vor allem standen die WHO-Diagnosekriterien im Merkblatt. Das hat aber keiner genutzt, so schritt die Entmutigung fort. Dazu nun einige Kardinalfehler der jeweiligen Klägerseite:

  • Die Klägerseite des Demenzfalls (vgl. ad 1.) meinte (Mandant): „Der Richter ist auf unserer Seite.“ Freilich hat dieser gemerkt, dass der Kläger hilflos ist, aber solange der Gutachter gesundschreibt, muss er die Klage abweisen. Die Anwältin des Klägers war nicht geneigt den Gutachter zu attackieren.
  • Obwohl die Toxikologie nachweislich falsch (vgl. ad 2.) dargestellt wurde, wollte der Anwalt nur sozialrechtlich vorgehen. Im Sozialrecht sind die Gutachter allesentscheidend und sakrosankt. Es wird nicht einmal überprüft, ob sie sich denn an den Stand der Wissenschaft halten.
  • Eine Bleivergiftung führte zum körperlichen Verfall (Waste Syndrom – dramatische Gewichtsabnahme, vgl. ad 3.). Der Gutachter schrieb den Patienten im Verfahren gegen die Deutsche Rentenversicherung (DRV) gesund (vgl. o. ad 3). Der Gutachter hat im BG-Verfahren wie auch im Fall ad 2 seine ganz eigne Toxikologie erfunden. Dies sind zwei gängige Varianten von Prozessbetrug. Das geht anstandslos, weil es keiner anzeigt, ja meist nicht einmal ausspricht.
  • Reha für Vergiftete in der Psychiatrie ist Körperverletzung, denn der körperlich und rechtliche geschwächte Mensch wird so auch noch als „Psycho“ verhöhnt. Typisch ist aber leider, dass die Anwälte noch zuraten (Kooperationspflicht) und den Rehabericht dann als entscheidend ansehen. Der Kläger muss zwar eine Reha akzeptieren, aber nicht in der Psychiatrie. Diese ist dann auch noch Präjudiz für das Verfahren, die Verursachung durch die Gifte ist so bereits eliminiert. Das ist die übliche Routine. Dagegen fehlt den Betroffen dann meist die Kraft.

Solche Verhältnisse kommen zustande, wenn man den eigentlichen Grund nicht thematisiert. Denn der eigentliche Grund ist, dass Gesetze unterlaufen werden, unter Umständen mit fortgesetztem Prozessbetrug und gegebenenfalls mit in Kauf nehmen von Körperverletzung. Stattdessen aber weichen die Umwelt- und Patientenorganisationen auf unverfängliche Themen aus, nämlich auf wissenschaftliche. Das verschlimmert die Sache noch, denn es unterstützt den Rechtsbruch, indem es den Eindruck erweckt, das tatsächliche Problem sei ein wissenschaftliches. So haben die Umwelt- und Patientenorganisationen bis auf den heutigen Tag ihre Grube selbst gegraben und dann resigniert, indem sie das Thema verfehlt haben.

Die Naivität der Betroffenen, die hoffen, nach so viel ärztlichem Unverständnis nun an den kompetenten Fachmann zu kommen, ist verständlich. Wie können sie wissen, dass auf diesem Gebiet die Welt völlig pervertiert ist. Statt Zeugen, bringen sie Literatur mit.
Gutachter sollen mit möglichst wenig Aufwand zum „richtigen“ Schluss kommen. Deshalb interessieren sie sich weder für die Diagnosekriterien der WHO, noch für die Symptome und deren Verlauf. Nach Hippokrates ist der Patient die beste Informationsquelle des Arztes. Darauf haben Ärzte einen Eid geschworen, den sie schon brechen, wenn sie bereits beim ersten Kontakt versuchen, den Patienten einzuwickeln, was ihnen stets gelingt. Die Patienten oder Kläger sind nach einer Ärzteodyssee willige Opfer. Die Gutachter verstoßen also gegen jede Regel. Doch die Kläger wollen diese Gutachter überzeugen! Dazu werden die Betroffenen in den Foren der Selbsthilfegruppen (SHG’ s) angehalten. Diese glauben fest daran, dass es ein wissenschaftliches Problem ist. Die Wissenschaft hat aber alles Wesentliche schon in den 80ern geklärt.

So glaubt dann jeder stolze Autodidakt, es gehe hier nur um etwas Nachhilfe, denn sie haben ja erlebt, dass die deutschen Mediziner keine Ahnung haben. Die Patienten fühlen sich als Avantgarde und haben doch das Wesentliche verschlafen. Diese komplexe Desorientierung haben letztlich die gleichen Gutachter erfolgreich organisiert, die den Psycho eingeführt haben. Letzterer ist nur eine Hilfskonstruktion für Härtefälle. Das Wesentliche ist die Wissenschaftsreduktion zurück in die 70er Jahre und dass die nie erleben, sich rechtfertigen zu müssen. Dies gilt es zu ändern.

Wird fortgesetzt …..

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2 Antworten auf Denen fällt keiner in den Arm …

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