Gutachten als freie Erfindung

Ein Mann erkrankt so schwer, dass er seinen Alltag nicht mehr bewältigen kann. Er zeigt alle Symptome einer Bleivergiftung. Auch die Nebenwirkungen sind alle diagnostiziert und dokumentiert. Es ist auch dokumentiert worden, dass seine innere Bleibelastung über dem Grenzwert lag. Eindeutiger geht es nicht.

Das schert die zwei, von der Berufsgenossenschaft bestellten Gutachter, nicht. Sie lassen sich etwas einfallen.

Der eine, Professor der Arbeitsmedizin, bewertet nur den Blutbleiwert von heute. Der ist niedrig. Blei lagert sich mit der Zeit in den Knochen ab. Das ist bekannt. Das steht bereits im Merkblatt über Blei von 1962 (noch gültig). Das ist Stand der Wissenschaft und Gutachten haben sich daran zu halten. Doch manche Gutachter sind gleicher: Der heutige Bleiwert ist zu niedrig, basta! Das Krankheitsbild interessiert ihn auch nicht. Aber zur Absicherung lässt er ein neurologisches Zusatzgutachten anfertigen. Auch der Neurologe ignoriert den Patienten und seine Vorbefunde. Er erklärt unverblümt, der Antragsteller sei schon immer sehr dumm („wenig intelligent“) gewesen, eine erworbene negative Veränderung seiner geistigen Fähigkeiten könne er nicht feststellen. Der so Erniedrigte hat sich mit nur Hauptschulabschluss in einer Weltfirma zum Maschinenführer hinauf gearbeitet. Er war dort für Chargen von 1,5 Tonnen verantwortlich, alles spezielle Mischungen, bei denen es auch auf das Promill diverser Additive ankommt. Eine reife Leistung. Diese Karriere hat das Blei beendet.

In den beiden Gutachten wird alles ignoriert: Der Stand der Wissenschaft (Grenzwerte, Verlauf, Symptome etc.) und alle Fakten, die den Bleigeschädigten betreffen (Blutwerte, Diagnosen, Vorbefunde etc.). Die Gutachten lesen sich glatt und kompetent, aber sie haben keinen Kontakt zur Realität. Sie sind freie Erfindung. Das Komplizierte ist: Sie enthalten keine Lügen. Sie enthalten so etwas wie Wahrheit überhaupt nicht; es ist frei erfundener Unfug.

Das ist kein Einzelfall, im Gegenteil. So enthalten Reports der Berufsgenossenschaften zu bestimmten Berufskrankheiten oft eine ganz andere Beschreibung der Krankheiten als die wissenschaftlichen Dokumente (Konferenzen, oft WHO-Ebene), in denen sie definiert wurden.

Aber das interessiert niemanden. Gutachter sind bei uns sakrosankt. Sie können höchstens mal irren.

 

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3 Antworten auf Gutachten als freie Erfindung

  1. Gertrude Jäger sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr.Merz,

    ich ersuche um Kontaktaufnahme, denn ich habe seit ca 3 Jahren intensiv recherchiert und habe unglaubliche Zusammenhänge erkannt .
    Mein Sohn ist schwer Blei- u. Quecksilber-vergiftet, doch er wurde/wird als psychisch krank zwangsbehandelt.
    Ich haben viele Untersuchungen machen lassen, die allerdings nicht berücksichtigt wurden, habe also einige sehr interessante Befunde und Unterlagen.

    In tiefer Dankbarkeit für Ihre Informationen,
    Gertrude Jäger

    Leider bin ich erst heute auf Ihre Informationen gestossen

  2. Michael B. sagt:

    Was die Gutachter anbetrifft ähnelt das doch sehr dem aktuellen Fall Mollath
    http://www.sueddeutsche.de/bayern/mollath-bleibt-in-der-psychiatrie-skandaloese-entscheidung-1.1694933
    http://www.heise.de/tp/blogs/8/154430
    Wie auch hier wird herumgebogen und gedreht um die Vorteile Anderer zu bedienen. Erfreulich, daß sich diese Medien diesem Fall annehmen, berichten und die Bevölkerung aufklären. Schade dass der andere Mainstream nur PR macht.
    Die Mutter einer Arbeitskollegin von mir hatte auch von Berufswegen eine schwere Bleivergiftung gehabt (Löterin) und wurde ebenfalls seitlich der Behörden und Verbände unwürdig behandelt, gegängelt und abgewertet.

    Was könnte ich als Einzelner tun um den betroffenen Menschen zu helfen ?
    Informationen verteilen, die Menschen um mich herum aufklären mache ich bereits.
    Bei CSN bin ich schon auch schon seit einigen Jahren und habe da schon mal einer Frau wg. ihrer MCS und schwierigen Lebenssituation für längere Zeit bei mir Unterschlupf gewährt.

    @ Tino
    Danke für diesen Blog und dein unermüdliches Engagement. Hut ab.
    Wünsche stete Gesundheit und weiterhin viel Schaffenskraft.

    Gruß
    Michael B.

  3. Pingback: Unterlaufen der Gesetze – ein Fazit | Dr. Tino Merz

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