Bei jedem Giftproblem wiederholt sich das Gleiche: Ein Verständnis von Wissenschaft, das – spätestens (!) – seit den 80er Jahren überholt war, überzeugt die Laien: Die Journalisten, die Techniker, die Juristen, ja auch die Betroffenen zu deren Schaden.
Wir wissen seit den 80er Jahren, dass chronische Intoxikationen keine spezifischen Symptome kennen. Solche als Nachweis zu verlangen, ist nichts anderes als den Opfern ihr Recht zu entziehen. Wir wissen auch seit den 80er Jahren, dass Einzelstoffbewertungen abwegig sind. Es sind nur sehr selten Einzelstoffe, die zu toxischen Nervenschäden, Hyperreagibilitäten, chronischer Müdigkeit und ähnlichem führen. Hier den Einzelstoffnachweis als Nachweis der Schädigung zu verlangen, ist ebenfalls Rechtsbruch: Genau so wird derzeit mit den erkrankten Flugbegleitern und Piloten verfahren.Wir wissen die Kabinenluft wird aus der Turbine abgenommen. Öle, toxische Zusatzstoffe (etwa TCP) und Pyrolyseprodukte gelangen so in die Atemluft von Personal und Reisenden. VOC (flüchtige organische Stoffe) gelten durchweg als neuro- und immuntoxisch. Von 200 Substanzen ist die Rede. Dies zeigt Handlungsbedarf an. Rechtlich heißt das zunächst Prüfbedarf. Wer den Kausalitätsnachweis vorab fordert, handelt ohnehin entgegen der Gesetze (Stichwort: Gefahrenabwehr). Wer einen Nachweis fordert, der die Wirkung eines oder gar jedes dieser Stoffe im konkreten Krankheitsfall „bewiesen” haben will, hat haarsträubende Vorstellungen von Toxikologie. Solcher Unfug hat den Charme von Beihilfe zur Körperverletzung.
Ein solches Wissenschaftsverständnis ist aber das übliche Leitbild und es wird von manchen Gutachtern gepflegt. In diesem Fall hat mich der eine TV-Journalist verstanden, der andere wollte genau dies von mir: Spezifische Symptome von Einzelstoffen, also die doppelte Unmöglichkeit.
Diese falsche Denkweise ist letztlich der Grund, warum so viele Menschen irreversibel erkranken. Der falsche Umgang mit Wörtern führt zu falschen Gedanken und letztlich dazu, dass Menschen erkranken. Wir wissen wissenschaftlich mittlerweile genau, wie sich diese chronische Pathologie entwickelt: Unspezifisch, alle diese Stoffe leisten einen Beitrag. Wer eine Hierarchie für die einzelnen Stoffe wünscht, definiert eine anspruchsvolle, akademische Aufgabe, aber toxikologisch ist dies ohne Belange.