Die Grenzwert”debatte” zur Luftverschmutzung war eine eigentlich durchsichtige Verdummungskampagne. Debatte würde Argumente voraussetzen. Das Köhler-Paper enthält keine solche, keine konkrete Studien oder gar tatsächlich neue wissenschaftliche Diskurse (gut verständliche Kritik: https://youtu.be/5jsvTepG2m0). Kritik braucht Zeit. Da war der Generalangriff auf die Wissenschaft schon alle Talks rauf und runter breitgetreten worden. Unfug verbreiten geht eben schnell und diesen zurückzuweisen erfordert Denken.
Es begann mit der Verhöhnung von Gesundheitsschutz als Hysterie durch einen Clown: Nuhr hat behauptet – Fehler größer als einen Faktor 3 Mio – eine Adventskerze sei schadstoffreicher als der Verkehr und es sei übertrieben, dort zu messen, wo sich die höchsten Konzentrationen ansammeln. Das Auditorium hat sich auf die Schenkel gehauen. Da ist der Autoindustrie ein Coup gelungen. Kabarettisten gelten als kritisch, vor allem aber als denkend. Nun hat man einen, der verdummt.
Dieser Test war also glatt-positiv verlaufen.
Nun konnte der Angriff auf Recht und Gesetz beginnen. Die Grenzwerte seien nicht begründet und daher unsinnig. Ein Daimleringenieur hat das vorformuliert, ein Klinikchef hat das übernommen und um Absegnung bei Praxisärzten gebeten. Die Quote von 3,4% Zustimmung ist wirklich nicht berauschend, also eigentlich keine Bestätigung. Aber das stört keinen. Beachtlich ist die Spontaneität gegenüber einem Grenzwert der seit 1966 existiert und 1999 etwas abgesenkt wurde. Nun hieß es wochenlang „Wissenschaftler“ würden gewissermaßen Alarm schlagen, um dem Unfug und der Panikmache ein Ende zu setzen. Der Klinikchef wurde zu Koryphäe aufgeblasen und herumgereicht. Offensichtliche Anmaßung fiel keinem auf.
Doch es meldeten sich Wissenschaftler zu Wort (7 Professoren mit Wissenschaftserfahrung, Medscape 6.2.19) und weisen alles zurück: es macht mehr Mühe (14 Seiten statt nur 2, s. vorstehenden Artikel) und ist zeitaufwendiger alle Denk-, Rechen- und sonstige Fehler zu korrigieren. Der wissenschaftliche Fundus beträgt 71000 Publikationen und er existiert seit den 60er Jahren. Ein kompletter Ignorant – 71 000 Studien nicht gelesen – kann innerhalb einer Stunde zum Shootingstar werden. Es fragt erstmal keiner: Moment mal, gibt es den Grenzwert erst seit gestern? Ist die WHO wirklich so schlampig? Hat dieser Köhler schon einmal eine epidemiologische Studie durchgeführt? Wieviele davon gibt es überhaupt?
Die 14 Dias von Medscap nennt die wichtigsten Unterschlagungen und der Spiegel hat das 1:1 wiedergegeben http://www.spiegel.de/auto/aktuell/grenzwerte-von-stickoxiden-wie-sie-entstehen-und-wer-sie-festlegt-a-1250788.html. Solch Journalismus ist deutlich in der Minderheit.
Auf den Unfug ist auch der Verkehrsminister freudig abgefahren. Doch die EU hat ihn belehrt, dass die Grenzwerte regelmäßig überprüft würden und eher eine weitere Absenkung anstehen würde, ginge es streng nach der Wissenschaft. Somit steht fest: das Verkehrsministerium weis nichts über Wissenschaft und Grenzwerte.
Ich war doch erleichtert, als ich medscap gelesen hatte, deren Wiedergabe in der Presse und die EU-Reaktion. Offensichtlich gibt es noch Leute, die noch zwischen Wissenschaft und deren gezielter Deformation unterscheiden können oder zumindest danach fragen. Dennoch ist das eine neue Qualität, wenn Wissenschaftlichkeit nicht einmal mehr vorgetäuscht, sondern nur destruktiv attackiert wird. Alle haben schlampig gearbeitet, da müssen erst wir kommen …..Ein Teil der Masche ist alt: nur das Rauchen ist schädlich, die gleichen Schadstoffe aus Auspuffen nicht. Das machen die immer so. Die „wir-müssen-erst-einmal-forschen-Arie“ hat die Umweltdebatte vom dem Tag an beherrscht, als es Mitte der 80er Jahre offensichtlich wurde, dass es Umweltkrankheiten in relevantem Ausmaß gibt.
Seither musste ich immer die gleichen Rechenfehler korrigieren, wie bei meinem Anti-Nuhr (etwa Vernachlässigung der Akkumulation in Körper und Nahrungskette). 1995 wurde der Hypochonder kreiert. Durch BG-Gutachter (Köhler arbeitet an einer BG-Klinik) wurde stets die Wissenschaft auf den Kopf gestellt: was epidemiologisch sicher nachgewiesen ist, kann nicht „widerlegt“ werden. Deshalb wird es mit falschen Fragestellungen verknüpft, um den eigentlichen Beweis zu “entkräften”. Korrelation und Kausalität können sich überschneiden; es kommt darauf an, was gefragt ist. Etwa Schweißen und COPD. Das ist bewiesen. Rauchen auch. Bei beiden ist NOx im Spiel, Feinstaub auch. Nur Daimler-Köhler weiß ganz genau: Tote macht nur das Rauchen Luftverschmutzung nicht. Kann man einem Journalisten zumuten stutzig zu werden?
Beliebt zum Zwecke der Täuschung sind Anforderungen, die gar nicht erfüllbar sind. Dazu zählt etwa die Ursacheermittlung im Einzelfall. Asthma durch NOx kann man im Einzelfall nicht „sehen“ – wie soll denn die „sorgfältige Anamnese“ aussehen? Etwa „Wie oft am Tag atmen Sie?“. In der Luft sind auch VOC, Ozon, SO2, auch Dioxin – alles belastet und schwächt Immun- und Nervensystem, weil es die ROS erhöht und zu systemischer Entzündung führt. Das hat die Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten vertieft. Das ist bewiesen. Danach ist er nicht möglich eine Einflussgröße auszuschließen. Die Höhe – die quantitative Seite – ist dann eine Abschätzung nach Informationen aus verschiedenen Quellen, eine sorgfältige Abwägung. Dass hat die WHO getan, die Köhler-Daimler nicht. Die Öffentlichkeit hat aber die gegenteilige Behauptung anstandslos geschluckt. Das ist erfolgreiche Verdummung.
So etwas wäre in den 80ern nicht möglich gewesen. Da war man noch gewöhnt, den eigenen Verstand zu gebrauchen.
Wann kommt die nächste Verblödungsrunde? Oder wurden nun endgültig übertrieben? Es sieht nicht danach aus. Es wird trotz Rechenfehler weiter insistiert. Und es werden neue Unterstützer rekrutiert. Helmholzinstitut hätte eine Formel falsch angewandt. Selbst wenn, was würde es aussagen, wenn die 6 000 vorzeitigen Ableben nach unten korrigiert werden würde. Und die Millionen chronisch Kranke?
Der andere Angriff auf die Wissenschaft liest sich so: „Die CDU Niedersachsen fordere „ die Bundesregierung und Europa intensiv auf, sich mit der wissenschaftlichen Belastbarkeit dieser Grenzwerte auseinanderzusetzen“. Man solle „verstärkt auf technologische Lösungen setzen, um auf der einen Seite das Klima zu schützen und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass unsere Industrie in Deutschland nicht in die Knie geht. Man muss es leider so brutal formulieren. Wenn die Grenzwerte allein für die Lkw-Produktion so umgesetzt werden, würde die komplette Lkw-Produktion in Deutschland eingestellt werden müssen. Das bedeutet einen Verlust von Tausenden von Arbeitsplätzen. Das kann nicht im Sinne des Industriestandorts sein“, warnte Althusmann“.
Das ist Bullshit kompakt: auf Technologie setzen, die man verhindert; weil sie die Wirtschaft vernichtet. Mit „Warnung“ wird dem Gewäsch dann Substanz verliehen. Der Sinn ist, dass Entscheidungen blockiert werden. Es hat diesmal nicht funktioniert. Die Anhebung des Emissionsgrenzwertes für Diesel wurde verhindert.
Der entscheidende Punkt ist die Täuschung. Dieser wird aber nicht thematisiert. Das Arbeitsplatzargument ist genauso Bullshit, wie das Paper von Daimler-Köhler.
Aber eine allgemein Nachrüstung ist nach wie vor nicht in Sicht. Betrachtet man die Geschichte der Emissionsgrenzwerte, so findet man eine sehr komplexe Materie: ein ständiger Kampf von Euro 1 bis Euro 6. Die Message der Autoindustrie ist stets: kauft euch doch eine neues Auto und das salamimäßig seit Jahrzehnten (90er Jahre).
Köhler bekräftigt, nachdem er Rechenfehler einräumen musste, die Richtigkeit seiner Stellungnahme trotzig. Solche Leute haben keine Schamgrenze. In nicht zu überbietender Hybris nennt er alle Wissenschaftler „einseitig“ und unterstellt eine „Zielvorstellung“, also Voreingenommenheit. Nur er ist objektiv. Das beweist, dass ernsthaft die Axt an die Wissenschaft gelegt wird. Wie ist eigentlich eine Gesellschaft drauf, die einem erlaubt mit einer Verspätung von 50 Jahren, den wissenschaftlichen Diskurs insgesamt für abwegig zu erklären? Wird das nun Mainstream oder ist es schon?