Trends – die Abwärtsspirale

Wir wissen seit Mitte der 80er Jahre, was eine chronische Vergiftung ist, entstanden aus einer Langzeitbelastung im Niedrigdosisbereich. Dazu gibt es Meilensteine aus WHO-Kongressen und viel, viel richtungweisende Literatur. Auch der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen hat dies 1987 erkannt und auch sehr konkret Stoffe benannt, bei denen die toxische Wirkschwelle das Niveau der ubiquitären Belastung überschritten hat. Wir wissen also wissenschaftlich anerkannt, dass unsere Welt toxisch ist. Aber gesellschaftlich und vor allem rechtlich werden nur hotspots gelten gelassen. Wir werden also anerkanntermaßen systematisch vergiftet und wir wissen auch, was besonders geschädigt wird: das Hirn.

Die WHO hat in den 80er Jahren auch die wichtigsten Umweltkrankheiten klinisch definiert. MCS, CFS, TE und FM sind weder rätselhaft, noch unerforscht, noch selten, sondern im Gegenteil gut epidemiologisch belegt. Es gibt keinen Grund, die Patienten als Spinner zu bezeichnen oder gar als Simulanten, jedenfalls keinen wissenschaftlichen. Man beruft sich dabei auf Objektivität.

Zur angeblichen Nichtobjektivierbarkeit chronischer Intoxikationen wird neben der Leugnung der klinischen Definitionen der daraus entstehenden Krankheitsbilder das Belastungsniveau als völlig unbedenklich ins Feld geführt. Nun ist aus Probandenversuchen bekannt, dass die chronische Wirkschwelle mindestens einen Faktor tiefer liegt, als die akute. Es wird also nichts ernstgenommen, was nicht sofort krank macht.

Dabei kann jeder, der nur des Multiplizierens mächtig ist, nachvollziehen, wo der Denkfehler liegt: Denn Dosis ist Konzentration mal Zeit. Im Niedrigdosisbereich ist der erste Faktor klein,  der zweite groß und dieser wird weggelassen. Unbedenklichkeit ist folglich die konsequente Verweigerung jeglicher angemessener Denktätigkeit. Das ist Verdummung auf höherem Niveau.

Dass dies systematisch, gewissermaßen generalstabsmäßig durchgesetzt wird, wurde durch einen Regiefehler der Berufsgenossenschaft 2004 bekannt. Die angegebene Literatur besagte das genaue Gegenteil dessen, was es belegen sollte. Die Wissenschaft wird demnach passend zurechtgebogen, damit die Vergifteten ihre Rechte verlieren, d. h. keine Rente bekommen.

In einer Informationsgesellschaft ist Deutung alles. Denn es gibt kaum noch selbsterklärende „Tatsachen“, falls es die je wirklich gab. Die Klimakatastrophe war lange Zeit Modellrechnung. Erst seitdem die Gletscher schmelzen und Hurrikans heftige Kosten verursachen, wird sie als Realität empfunden[1]. Eine solche Tatsache ist für die toxischen Invaliden nicht in Sicht: „Wenn die Tatsachen der Theorie widersprechen, dann umso schlimmer für die Tatsachen“.

So wird die Gesellschaft durch extra konstruierten Unfug (engl. Bullshit) gesteuert. Für chronisch Vergiftete gibt es reichlich Interpretationen: Hysteriker, Rentenneurotiker, Ökochonder – als Diskriminierung, Ursachenvertauschung und letztlich Beweisvernichtung. Unfug unterläuft den Rechtsstaat. Die Berufsgenossenschaften haben da noch die Spezialität, dass bei ihnen, bzw. ihren Gutachtern alle – alle, wirklich alle chronischen Krankheiten heilbar sind.

Die diesem Text geht es um toxischen Invaliden. Die Wissenschaftsbild legen die Versicherungen fest. Und dieses wird ex cathedra mit apodiktischer Gewissheit verkündet. Wer Denkprozesse anmahnt, ist ein Ketzer.

Meine Arbeit führte mich von der Dioxindebatte zur chronischen Vergiftung von Umwelt, Nahrungskette und Mensch. Auch der Sachverständigenbeirat erklärte 1987, dass die Umweltschäden beim Menschen angekommen sind. Als die Holzschutzmittel-Geschädigten auf Schadensersatz klagten, war Schluss mit lustig. Wenn Wissenschaft von den Geschädigten genutzt werden kann, muss sie umgeschrieben werden.

Der Backslash war kräftig und fand auf allen Fronten statt: Zurückrudern in die 70er Jahre und gezielte Demontage der wissenschaftlichen Erkenntnis. Der „allgemein anerkannte Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis“ ist nämlich ein Rechtsbegriff und hat bei der Wahrheitsfindungen einen hohen Stellenwert. Und beim Zurückrudern haben alle mitgemacht.

Initialzündung für das Buchprojekt war das Versagen aller Parteien bei einer durch Lösemittel stark verseuchten Schule mit vielen kranken Schülern und Lehrern. Die Messwerte war weit über den Richtwerten, die Quelle war identifiziert und die die toxischen Opfer hatten die passenden Symptome. Aber statt Sanierung wurde auf die Opfer eingeschlagen. Und alle haben mitgemacht: alle Parteien, alle Ämter (Umweltministerin war zu der Zeit Frau Höhn) und Verwaltungsgerichte. Die Welt hatte sich deutlich geändert. Noch wenige Jahre zuvor wurden PCB-verseuchte Schulen abgerissen. Dieser Furor gegen die schlechte Nachricht, die schlechten Fakten ist schwer verständlich, jedenfalls für Europa im 21. Jahrhundert.

Das systematisch gefälscht wird, wenn es um Versicherungsfälle geht, ist nicht verwunderlich, dass aber alle die Betroffenen weggucken, weghören oder schlicht nicht darüber nachdenken, wenn man das auch beweisen kann, also lieber auf die Rente verzichten, wenn man dafür den Konflikt scheuen kann, ist schon verwunderlich. Die Leute wollten vom „Professor“ anerkannt werden.

Trotz eines Anfangserfolges – neues Merkblatt – wurde weiter nur ‚Wissenschaft‘ diskutiert. Selbst die unmittelbar Betroffenen haben die Verbesserung ihrer Rechtslage durch das neue Merkblatt nie genutzt, auch nie auf die Tagesordnung einer Diskussion gesetzt. Das hatte dann die Agonie der Selbsthilfegruppen (SHG‘ s) im Laufe eines Jahrzehntes – 2005 bis 2015 – zur Konsequenz. Die Umweltmediziner sind dem noch vorausgegangen, indem sie in Sachen MCS und TE eingeknickt sind. Danach war die völlige Rechtlosigkeit der chronisch-toxischen Invaliden schliche Tatsache. Die Gegenseite macht seither, was sie will. Es rächt sich eben, wenn man sich nicht die Mühe macht, die entscheidenden Details zu suchen

Die Gesellschaft ist über den Stand der 70er Jahre nicht hinausgekommen. Die Wissenschaft schon.

Ich glaubte nach dem Erfolg 2005 (neues Merkblatt), ein Essay würde genügen, den Bullshit zu stoppen. Sogar die Hilfe eines stellv. Chefredakteurs mit etlichen wichtigen Tipps zum Schreiben und Korrekturen zum Text führte nicht weiter. Auch er wollte das Offensichtliche nicht sehen: Eine Tabelle mit klaren Zahlen, akute und chronische Grenzwerte, mit einer Differenz von einem Faktor 1000. Er fragte nur „Sind die wirklich so dreist?“. Letztlich die Erfolgsmasche die: der Bullshitter muss sehr große Fehler machen. Dann traut sich keiner.

Wie dieser Abbau des Rechtsstaates funktioniert und wie dazu Wissenschaftler eingespannt werden und warum Akademiker vor fetten Lügen, Ehrfurcht entwickeln, davon handelt dieses Buch. Es ist auch die Aufforderung an jedermann, sich seines Verstandes zu bedienen. Das hat im 18. Jahrhundert einst einen gewaltigen Fortschritt gebracht: Rechtsstaat und Wissenschaft. Heute wird Ersterer abgebaut und Zweiteres, wo gewünscht, durch Bullshit ersetzt. Der Prozess hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten beschleunigt.

Die Wissenschaft hat mittlerweile die wichtigsten Pathomechanismen aufgeklärt. Die Schere der Diskrepanz zwischen wissenschaftlich gesichertem Wissen und dem gesellschaftlichen Umgang mit toxischen Invaliden öffnet sich immer weiter. Mit dem Verstummen der Patientenorganisationen und dem Einknicken der Umweltmedizin scheint kein Halten mehr in Sicht. Letzteres u. a. auch deshalb, weil die Betroffenen und ihre Organisationen sich bis zur eigenen Agonie geweigert haben, das Thema eines bewusst und gezielt verbogenen Standes der Wissenschaft überhaupt zu denken, geschweige zu diskutieren. Auch die Umweltmediziner weigern sich bis heute, den Gedanken zuzulassen, dass Kollegen so etwas absichtlich tun. So schreitet die toxische Degression unserer Intelligenz und unserer energetischen Leistungsfähigkeit weiter voran.

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